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NUSO-Archiv - Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
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Das Essen von gestern als Fast Food auf Rädern
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Mit Biogas aus Speiseresten rasen die CrossKarts über die Bahn
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Originaltext:
Das Essen von gestern als Fast Food auf Rädern

Mit Biogas aus Speiseresten rasen die CrossKarts über die Bahn

Von Klaus Koch (Text und Fotos)

IN DEUTSCHLAND gibt es bislang nur wenige industriell betriebene Biogasanlagen. Bei der Vergärung dienen gerade die ungesättigten Fette und Öle als optimaler Energielieferant.

Zwiebeln, Fleisch, Tomaten, Käse und Eier, als Krönung noch ein wenig Grünschnitt oben drauf: Das war, wenn es durch die Küche gewandert und als Pfannkuchen mit Speck oder Spaghetti Bolognese vorübergehend auf dem Teller eines Gastes gelandet war, bis vor kurzem gerade noch gut genug, um hinterher an die Schweine verfüttert zu werden. Viel zu schade, meinen Verfahrenstechniker, und streben den geschlossenen Kreislauf an, der die Abfallwirtschaft mit der Energietechnik kombiniert, um damit ein beachtliches Potenzial zu erschließen.

Die Motoren dröhnen, zwischen aufgetürmten Reifenbergen und einer ansehnlichen Steilkurve kommen die Rennmaschinen sichtlich auf Touren. Zum Geknatter gesellt sich Formel-1-Atmosphäre. An den Boxen wird über Breitreifen und die richtige Treibstoffmischung philosophiert. Doch statt nach verbranntem Gummi und dem üblichen Aroma des Zweitaktgemischs liegt ein Hauch von Kohl und Wirsing in der Luft. Walter Schmid, Schöpfer der Anlage, lässt die CrossKarts mit Biogas fahren, das aus Speiseresten und den Bioabfällen eines Lebensmittelfilialisten stammt.

Wenn es nach ihm ginge, gehört das Gemüse schon lange in den Vergaser. Mit 100 Kilo Kraut und Rüben im Tank, sagt Schmid, fährt auch sein Privatwagen noch hundert Kilometer weit. " Viele fragen mich, wo denn da der Haken ist", sagt er. " Aber es gibt keinen." Schmid ist Betreiber einer Reststoffverwertungsanlage für organische Abfälle, in der Speisereste aus 37 Restaurants und Personalkantinen sowie Lebensmittel mit abgelaufenem Verfallsdatum aus dem Großraum Zürich in einem Fermenter vermengt und vergärt werden.

Das entstehende Biogas dient als Treibstoff. An einer Zapfsäule kann es direkt auf dem Betriebshof getankt werden. Zum größeren Teil jedoch wird es ins öffentliche Erdgasnetz eingespeist. Überschusswasser, das als braune Brühe aus der schwitzenden Masse heraustropft, landet in einer modellhaft eingerichteten biologischen Kläranlage.

Das so genannte Substrat, das als Festmasse übrig bleibt, wird kompostiert und als Dünger verwendet. Nur noch kümmerliche zwei bis drei Prozent sind wirklich Müll: Löffel, Hosenknöpfe, Plastikbecher. Besucher führt Schmid in ein Treibhaus, in dem schnell wachsende Wasserpflanzen in einem Dutzend Becken die Reinigung der braunen Restsuppe übernehmen. Schwimmgras, Wasserhyazinthen und Wassersalat dienen als natürliche Filter, in Pflanzbeeten nebenan sprießen - gut gedüngt - Kopfsalat, Paprika und Tomaten, sogar Süßkraut und Zitronenmelisse. In einem der hinteren Bassins schnappen Karpfen und Schleien gierig nach dem Plankton, das Schmid ihnen mit einer Handbewegung zuwirft.

Der Gast fühlt sich in die Biosphäre II versetzt, jenes Experiment in der Wüste Arizonas, in dem in den 90er Jahren eine Handvoll Menschen die komplette Selbstversorgung durch vollständiges Recycling aller Reststoffe probte. " Wir verdienen inzwischen Geld", vermerkt der ökopionier nicht ohne Stolz. Und zählt die zahlreichen Lizenznehmer in aller Welt auf, zu denen von Mitsui über die Nippon Steel Company bis hin zu Hitachi auch die acht größten der Entsorgungsbranche in Japan gehören.

Bei richtiger Steuerung, und vorausgesetzt, dass der Gärvorgang - Albtraum jedes Betreibers - nicht plötzlich umkippt und somit zum Erliegen kommt, produziert eine Anlage mit 10 000 Tonnen Verarbeitungskapazität aus dem Biomüll von 100 000 Einwohnern rund 5600 Kilowattstunden (kWh) Strom und 10 000 kWh Wärme pro Tag. Zu Erdgasqualität aufbereitet, worden aus . einer Tonne im Schnitt 130 Kubikmeter Biogas, die dem Brennwert von 70 Litern Benzin entsprechen.

In Deutschland gibt es bislang nur wenige Dutzend industriell betriebene, vor allem aber 1600 kleinere Biogas-anlagen im ländlichen Raum, in denen Grüngut und Bioab-fälle aus Landwirtschaft und Gartenbau, Gülle und Getreide zusammengeschüttet werden, um durch Vergärung Methangas zu erhalten und daraus - oft in mäßig rentablen Zündstrahlanlagen - Strom zu produzieren. Doch der Markt hat Zukunft.

Ab 2005 darf kein Müll mehr auf Deponien abgelagert werden, wenn er nicht zuvor thermisch oder biologisch behandelt wurde. Bis dahin müssen Kapazitäten für Millionen Tonnen an Abfall bereitgestellt werden. Für reine Energieverschwendung halten es Fachleute, die Biomasse in der Müllverbrennung zu verfeuern. Leider ist die Freude am Gärstoff nicht ungetrübt. Denn er enthält aggressiven Schwefel, der Anlagenteile und Rohrleitungen angreift und deshalb in aufwendigen Reinigungsverfahren reduziert werden muss. Darauf verweisen auch Ener-gieversorger, wenn sie sich - anders, als in der Schweiz, wo fünf Prozent Biogas im öffentlichen Netz erlaubt sind - gegen die Einspeisung sperren.

Dabei sind die technischen Möglichkeiten, die in der Vergärung stecken, längst nicht ausgeschöpft. Wissenschaftler peilen bereits die nächste Stufe der F.nergieerzeugung an, die in Richtung Brennstoffzelle weist.Im Rahmen eines mit 3, 5 Millionen Euro ausgestatteten EU-Forschungsauftrags wird gegenwärtig an Möglichkeiten gearbeitet, das Gas kostengünstig zu entschwefeln und somit auch für Kleinsysteme rentabel zu machen. Bei Probeläufen sei es gelungen, berichtet Projektleiter Steven Trogisch, die Anteile des Schwefels von 400 bis 800 parts per Million (ppm) zuverlässig auf unter zehn zu drücken. Kein Zweifel, meint er. " Brennstoffzellen sind biogastauglich!"

Biotech-Unternehmen wie die im schleswig-holsteinischen Nortorf angesiedelte Farmatic lehnten sich mit der Vision eines Brennstoffzellen-Pkw, der ab 2005 mit Hilfe eines Wasserstoff-Generators mit den eigenen häuslichen Abfällen zu betreiben wäre, bereits weit aus dem Fenster. In Zusammenarbeit mit der Bundesforschungsanstalt für Landwirtschaft (FAL) in Braunschweig wurde sogar schon ein System zur Aufbereitung von Biogas und seiner Verstro-mung in Niedrigtemperatur-Brennstoffzellen (PEMFC) entwickelt. Forschungs- und Entwicklungs-Chef Klaus Hack schlägt inzwischen allerdings schon wieder leisere Töne an und gesteht, dass auch hier die Aufbereitung des Wasserstoffs mit Hilfe eines speziellen Reformerverfahrens sehr teuer ist. Einstweilen drehen Schmids CrossKarts auf der Rennstrecke im eidgenössischen Otelfingen mit Biogas, das auf Erdgasqualität gebracht wurde - und vorerst ohne Brennstoffzelle - ihre Runden. Frei nach der Devise " Nur nichts verkommen lassen" darf auch der Autor eine Spritztour wagen. Links die Bremse, rechts ist das Gas. Es knattert, dröhnt, und beim zweiten Anlauf auf eine Miniatur-Sprungschanze aus Holz landet der Bio-Renner, nur leicht gebremst durch eine Pneu-Barriere, auf dem Heck eines unbemannten Flitzers am Fahrbahnrand. Dank Vier-Punkt-Sicherheitsgurt und Sturzhelm bleibt der Fahrer unverletzt. Der Begriff des Fast Food hat zumindest eine völlig neue Bedeutung erfahren.

ZWIEBELN, Fleisch, Tomaten, Käse und Eier - Verfahrenstechniker streben mit dem Biomüll den geschlossenen Kreislauf an, der die Abfallwirtschaft mit der Energietechnik kombiniert und damit ein gewaltiges Potenzial erschließen soll.

STATT nach verbranntem Gummi und dem üblichen Aroma des Zweitaktgemischs liegt ein Hauch von Kohl und Wirsing in der Luft. Die CrossKarts fahren mit Biogas, das aus Speiseresten und den Bioabfallen eines Lebensmittelfilialisten stammt.
Autor:
Klaus Koch


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