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NUSO-Archiv - Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
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Erscheinungsdatum:
aus Zeitung:
Inhalt:
Überschrift:
Ein bunter Blick in Kaisers Zeiten
Zwischenüberschrift:
Osnabrücker Professorin sammelt historische Postkarten – Internetarchiv
Artikel:
Kleinbild
Originaltext:
Osnabrück. Auf manch einem Speicher mögen noch Exemplare ruhen, von niemandem beachtet und bedeckt vom Staub vieler Jahrzehnte. Die Osnabrücker Professorin Sabine Giesbrecht sammelt sie: Historische Bildpostkarten sind für sie wertvolle Zeugnisse. Sie erzählen von vergangenen Zeiten. 9500 Karten erwarb die Musikwissenschaftlerin bisher. Sie legte ein systematisches Archiv an und stellte es mit Unterstützung der Universität Osnabrück ins Internet.

Osnabrück. Wer möchte nicht gerne mal den Blick in einen Musiksalon oder auf den Kleidungsstil zur Zeit der Jahrhundertwende werfen? Oder sich ansehen, wie die öffentliche Meinung mit Emanzipationsversuchen von Frauen umging? Eigentlich für Forschungs-, Illustrations- und Unterrichtszwecke gedacht, erweist sich Giesbrechts Archiv als virtuelle Fundgrube, die zum Stöbern einlädt.

In 17 Rubriken wie etwa " Lieder", " Regionen", " Frauen- und Männerbilder", " Heimat und Front" zeigt die Sammlung typische Motive der damaligen Zeit. Der Schwerpunkt liegt auf dem Umgang mit Musik. Sie hatte besondere Bedeutung im bürgerlichen Alltag und in der politischen Propaganda: So gibt es Bilder von Hausmusik, Damenkapellen, Landschaften mit Liedtexten; aber auch sich verändernde Erscheinungsbilder von Frauen, Karikaturen und Kriegsthemen. Soldaten nehmen Abschied, kämpfen, werden verwundet und sogar von Himmelsboten getröstet und geehrt. Die Dokumentation erstreckt sich von 1897 bis 1945 und erfasst somit Kaiserzeit, Weimarer Republik und NS-Herrschaft bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges.
" Es begann damit, dass ich Schulbücher zum Musikunterricht schrieb und dafür Illustrationen suchte", erzählt die 70-jährige emeritierte Professorin. Das war vor fast 30 Jahren. Sie zog über Trödelmärkte. Dort fand sie reichlich Material und kaufte. " Inzwischen sind die Karten teuer geworden. Für die NS-Zeit muss man oft 30 bis 100 Euro pro Karte hinlegen", so Giesbrecht. Immer mehr historische Themenbereiche weckten ihr Interesse. Irgendwann kippte die Perspektive der Musikwissenschaftlerin, und die Motive selbst wurden zum Gegenstand ihrer Forschungen. Sie ging zu Ausstellungen, Versteigerungen und Haushaltsauflösungen. Einige Osnabrücker Bürger schenkten ihr Karten aus Privatbesitz. So wurde die Sammlung immer größer.
Als bedeutendes Quellenmaterial zeigen die Bildpostkarten, was Kleinbürgertum und Öffentlichkeit sozial und politisch bewegte. " Anders als heutige Ansichtskarten oder ästhetisch konzipierte Kunstkarten sind sie ein Stück Alltagskultur", erklärt Giesbrecht. Zudem transportierten sie als Massenmedium nationale politische Propaganda; oftmals durch Beschriftung mit Parolen, die Musikstücken entstammen. " Immer feste druff" aus einem Couplet von Walter Kollo oder " Lieb Vaterland, magst ruhig sein" aus dem Lied " Die Wacht am Rhein" tauchen zahlreich auf. Im Ersten Weltkrieg wurden die Motive als kostenlose Feldpost millionenfach unters Volk gebracht. Bis zur Jahrhundertwende hatte sich (nach Druck der ersten Postkarte im Jahr 1870) der Gebrauch in Grenzen gehalten.
Obwohl Giesbrecht eigentlich " nie eine Sammlerin war", wie sie sagt, packte sie irgendwann die Leidenschaft: " Aus den Karten steigt schemenhaft hervor, wie die Generation meiner Großeltern gelebt und gefühlt hat." Als Sechsjährige verlor sie ihre Großeltern durch die Folgen von Krieg und Flucht. " Nach dem Zweiten Weltkrieg war die bürgerliche Kultur verändert", sagt sie. " In unserer Familie wurde nicht mehr gesungen."
Mit ihrem Schwerpunkt auf musikbezogene historische Darstellungen ist die Sammlung einzigartig in Deutschland. Somit war sie schon bei einigen Ausstellungen vertreten: etwa im Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland in Bonn, im Deutschen Historischen Museum in Berlin und im Osnabrücker Remarque-Friedenszentrum. Letztes Jahr gab Giesbrecht einen Kalender mit Musikkarten heraus. Für dieses Jahr liegen Anfragen vor für Ausstellungen in Versmold und Gütersloh zum 90-jährigen Ende des Ersten Weltkrieges.
Zurzeit wird die Edition mit erklärenden Texten zu jeder Rubrik vervollständigt. Giesbrecht möchte die von ihr erworbene Sammlung als Stiftung der Universität Osnabrück übergeben, die bereits an der Systematisierung und Digitalisierung beteiligt war. Interessenten wollten ihr schon Teile abkaufen, aber sie lehnte ab: " Die Sammlung soll zusammenbleiben: hier in der Osnabrücker Region."
Internet:
www.bildpostkarten.uni-osnabrueck.de

Bildunterschriften:

1) Die Musterung von Frauen als Traum eines Unteroffiziers. Die Karte war 1904 im Umlauf und zeigt eine Parodie auf die Emanzipationsthematik zur Zeit der Jahrhundertwende. Historische Bildmotive aus der Sammlung Sabine Giesbrecht

2) Um die Jahrhundertwende begann die Blütezeit der Bildpostkarte. Diese Karte wurde 1907 in den Postkasten gesteckt. Nach 1920 nahm das Interesse etwas ab.

3) Kriegswahrzeichen aus dem Ersten Weltkrieg: Karl der Große, Gründer des Bistums Osnabrück, als " Nagelfigur", in die als Kriegsspende gekaufte Nägel geschlagen wurden.

4) Abitur am Carolinum vor 95 Jahren: Abschied von der Schulzeit mit Symbolen des Aufbruchs und den Farben Schwarz-Rot-Gold, die einige als Nationalflagge wünschten.

5) Sabine Giesbrecht sammelt aus Leidenschaft und zu Forschungszwecken (hier mit einer Ansicht des Heger Tors aus dem Jahr 1917).

Foto: Egmont Seiler
Autor:
Gila Kriz


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