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NUSO-Archiv - Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
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Scharfe Splitter der Erinnerung
Zwischenüberschrift:
Museum und Mahnmal: Vor zehn Jahren wurde in Osnabrück das Felix-Nussbaum-Haus eröffnet
Artikel:
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Originaltext:
Osnabrück. Museum, Mahnmal, Hort für ein fast verlorenes Werk? Das Osnabrücker Felix-Nussbaum-Haus entfaltet so viele Bezüge wie sein zersplitterter Baukörper in unterschiedliche Richtungen weist. Heute vor zehn Jahren wurde das Haus eröffnet.
Von Stefan Lüddemann
Osnabrück. Ob steil aufragende Klippe, schwebende Brücke, Holzpalisade, nüchterne Betonwand oder wie Blitze dreinfahrende Fensterschlitze das Gebäude hinter dem Osnabrücker Kulturgeschichtlichen Museum beeindruckt in jeder Sekunde und bleibt doch in seiner Totalität unerkannt, weil keine Schauseite einen Überblick über das gesamte Bauwerk eröffnet. Aus der Vogelperspektive erscheint das Museum gar als geborstener Körper, dessen splittrige Teile hastig zusammengeschoben wurden. So viel gewollte Desorientierung setzt sich nicht nur im Inneren des Hauses in einer Folge unregelmäßig geschnittener und labyrinthisch verschachtelter Räume fort sie entspricht auch einer denkbar schmerzlichen und bis heute verstörenden Erinnerung.
Schließlich bewahrt das Museum nicht einfach das Gesamtwerk des in Osnabrück 1904 geborenen und in Auschwitz 1944 ermordeten Malers Felix Nussbaum auf. Das Haus ist mit seiner Haut aus Metall und Beton auch Tresor der Erinnerung und mit seiner dramatischen Ausdrucksgebärde zugleich Gestalt gewordene Klage über den Holocaust und seine Opfer. Obendrein steht das Nussbaum-Haus längst auch für eine Stadt und ihr über Geschichte und Kultur definiertes Selbstbild. Die " Friedensstadt" Osnabrück hat im Nussbaum-Haus ihr tragendes Symbol gefunden, ein Symbol vor allem für tätige Arbeit an der Erinnerung. Lässt sich anders bezeichnen, was Bürgerinnen und Bürger spätestens seit den siebziger Jahren als Wiederentdeckung und schließlich Rettung des Werkes Nussbaums geleistet haben?
So wurde aus dem Gebäude schnell und nachhaltig, was Daniel Libeskind für jedes seiner Projekte anstrebt ein Träger intensiv erfahrener und vielfach in sich verschränkter Bedeutungen. Das so von vornherein als Programm definierte Bauwerk fügt sich deshalb bestens in mehrere Kontexte kultureller Entwicklung ein und gibt zur gleichen Zeit auch unweigerlich Probleme auf. Natürlich hat das Nussbaum-Haus schnell seinen Platz gefunden unter den prägenden, weil charismatisch gestalteten Museumsbauten der Gegenwart.
Weit mehr zählt jedoch die Lösung, die Libeskind für das drängende Problem historischer Erinnerung anbot. Wie kann eine adäquate Erinnerung an den Holocaust, an Gewalt und Terror aussehen, nachdem uns die Generation der Opfer und Täter verlassen hat? Das Nussbaum-Haus gibt eine Antwort auf diese Frage mit einer Baugestalt, die als Äquivalent einer furchtbaren Erfahrung konzipiert ist und so den Museumsbesuch zu einem wenn nicht erschütternden, so doch immerhin bewegenden Erlebnis machen soll. Auf diese Weise formuliert das Haus bis heute ein dringendes Anliegen, das sich auch ohne falsche Vergleiche mit Libeskinds Jüdischem Museum in Berlin und dem gleichfalls in der deutschen Hauptstadt errichteten Holocaust-Mahnmal in Beziehung setzen lässt. Das hoch zu bewertende Anliegen hat jedoch seinen Preis. Und der ist da zu entrichten, wo Mahnmal und Museum unweigerlich miteinander kollidieren.
Die zerrissene Gestalt des Osnabrücker Museums produziert deshalb noch einen weiteren, wenn auch ungewollten Bezug nämlich den zu der Frage nach Funktion und Rolle der Kunst und der Form ihres Erlebens. Das Osnabrücker Haus spannt Nussbaums Bilder in ein bereits aufgezeichnetes Parallelogramm historischer Bezüge ein und legt damit Lesarten notwendig fest. Das sorgt für fulminante Wirkung, beseitigt jedoch Wahlmöglichkeiten. Was aber geschieht, wenn Nussbaum vor allem als Künstler und nicht so sehr als Opfer begriffen werden soll oder wenn in dem Haus ganz andere Kunst gezeigt wird?
Schritte in diese heikle Richtung sind im Nussbaum-Haus bislang eher vorsichtig gegangen worden. Über weite Strecken dominiert die Dauerausstellung mit Nussbaums Bildern. Wechselausstellungen tangieren ansonsten eher Randbereiche des Hauses, zeitgenössische Positionen zu Themen, die denen Nussbaums verwandt erscheinen könnten, bleiben die rare Ausnahme. Zum hundertsten Geburtstag Nussbaums 2004 markierte die große Schau " Zeit im Blick" insofern einen Einschnitt in die strikt lineare Geschichte des Museums, als Felix Nussbaums Bilder in das Tableau einer weit aufgespannten Moderne zwischen van Gogh und Beckmann eingepasst wurden. Noch in diesem Jahr soll die Ausstellung " Verborgene Spur" diesen Ansatz neu aufnehmen. Die Präsentation zeichnet Wege jüdischer Ästhetik und Erinnerung in der Moderne nach.
Wie mit solchen Projekten das Profil des Hauses wie der Umgang mit Person und Werk Nussbaums neu akzentuiert werden können, bleibt abzuwarten. Einstweilen sieht sich das Nussbaum-Haus mit dem Problem konfrontiert, dass alle einem einzigen Künstler gewidmeten Museen haben das einer Mono-Thematik und der damit drohenden programmatischen Ermüdung. Erneuerungsbedarf ergibt sich aber auch von anderer Seite. Gerade einmal zehn Jahre nach der Eröffnung tritt unverhüllt zutage, was seit jeher Kardinalproblem des Gebäudes war: die viel zu knapp geratenen Funktionsbereiche von Garderobe bis Café und der nicht vorhandenen Museumspädagogik. Derzeit diskutieren Osnabrücker Kulturpolitiker einen Anbau, der für immerhin rund 3, 4 Millionen Euro ein zusätzliches Foyer und einen Vortragsbereich bringen soll. Für nur etwas mehr als das Doppelte dieser Summe war seinerzeit allerdings das gesamte Gebäude errichtet worden. Das Projekt stößt denn auch auf vielfache Kritik. So löst das Nussbaum-Haus nach zehn Jahren aus, was es bereits vor seiner Fertigstellung gab heftige Debatten. Keine schlechte Bilanz für den ersten runden Geburtstag eines Museums, das niemanden unbewegt entlässt.
Bildtexte: Prominente Besucher hat das Osnabrücker Felix-Nussbaum-Haus immer wieder angezogen. 2002 war der damalige Bundespräsident Johannes Rau (SPD) ein nachdenklicher Besucher, 2003 trat Liedermacher Wolf Biermann dort auf, 2004 schaute der zweifache Documenta-Leiter Manfred Schneckenburger vorbei, und 2006 stattete Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) dem Haus ihren Besuch ab (von links). Fotos: Jörn Martens, Detlef Heese
Aus jeder Perspektive ein anderes Museum: Das Nussbaum-Haus bietet mit seinen Fassaden aus Metall, Holz und Beton verwirrend vielfältige Ansichten. Fotos: Uwe Lewandowski

Der Architekt
Daniel Libeskind (Foto: Gert Westdörp) errichtete mit dem Osnabrücker Felix-Nussbaum-Haus sein erstes vollendetes Bauwerk. Der 1946 in Polen geborene Architekt war bis dahin vor allem als Theoretiker hervorgetreten.Seitdem sorgte er vor allem mit dem Jüdischen Museum in Berlin für Furore. Das Bauwerk konzipierte er 2001 als Anbau an ein bereits vorhandenes Museum. Dem gleichen Prinzip folgt das Nussbaum-Haus, das als Anbau an das Kulturgeschichtliche Museum errichtet wurde. Libeskind realisierte in den folgenden Jahren weitere, meist spektakuläre Projekte, darunter die Erweiterung des Londoner Victoria-and-Albert-Museums. Schließlich gewann er den Wettbewerb um die Neubebauung des bei den Anschlägen des 11. September verwüsteten " Ground Zero" in New York.

Das beste Bild
" Selbstbildnis mit Judenpaß" (Repro: epd) ist der Titel des Gemäldes, mit dem Felix Nussbaum vor allem in die Kunstgeschichte eingegangen ist. Wie ein gehetztes Wild hat sich der Maler hier selbst dargestellt. Den Mantelkragen hochgezogen, in eine Mauerecke geflüchtet so steht hier der Künstler selbst vor dem Betrachter, dem er den Pass mit dem eingestempelten " Juif - Jood" wie einem seiner unbarmherzigen Verfolger vorzeigt. Das 1943 im belgischen Exil entstandene Gemälde fasst die Situation von Exil und Verfolgung in einer bestechend präzisen Bildformel. Nussbaum gelang damit viel mehr als nur ein Selbstbildnis. Sein Werk hat längst epochale Bedeutung erlangt. Mehr als jedes andere Gemälde steht es deshalb heute für den Künstler Nussbaum und für das ihm gewidmete Museum.lü
Autor:
Stefan Lüddemann


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