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NUSO-Archiv - Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
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Inhalt:
Überschrift:
Als in Pye der Damm brach
Zwischenüberschrift:
Für Inge Hawighorst ist der 20. Oktober 1957 zum Schicksalstag geworden.
Artikel:
Kleinbild
Originaltext:
Von Rainer Lahmann-Lammert Osnabrück. Als die Schlammlawine kam, verlor sie ihre Mutter. Als um die Entschädigung gekämpft wurde, verlor sie ihren Mann. Da brach am Piesberg der Damm des großen Schlammteichs. Ihr Elternhaus wurde zerfetzt, die Siedlung in Pye versank im Dreck.
Von Rainer Lahmann-Lammert
Osnabrück. Die Möbel sind zerbrochen, das Geschirr auch. Inge Hawighorst hat nur wenige Gegenstände aus dem zerstörten Haus retten können. Ein paar Töpfe, Bettwäsche, eine Armbanduhr und das Wichtigste ein Fotoalbum mit Bildern von ihrer Hochzeit, ihrer Familie und ihrem Haus, das gerade erst fertig geworden war.
Inge Hawighorst, damals Hörnschemeyer, war 22 und frisch verheiratet. Als es passierte, saß sie gerade mit ihrem Mann Theo in der Wallenhorster Kirche, so wie fast alle ihre Nachbarn aus dem katholischen Pye. Die kleine Landkreisgemeinde, die damals noch nicht zur Stadt gehörte, hatte kein eigenes Gotteshaus.
Nach der Messe stürzte eine Nachbarin auf Inge Hawighorst zu. " Euer Haus ist weg!", rief sie. Mit dem Motorroller raste das junge Ehepaar zurück nach Pye, aber die Lechtinger Straße war schon abgesperrt. Die junge Frau erfuhr, dass ihre Mutter Agnes Fuchs nicht rechtzeitig aus dem Haus gekommen war. An jedem anderen Sonntag wäre sie ja auch zur Kirche gegangen. Aber an diesem Morgen hatte sie sich nicht gut gefühlt. " Eine Erkältung oder eine Grippe", erklärt Inge Hawighorst, die noch immer nicht ganz versteht, warum sie damals von wohlmeinenden Ordnungskräften daran gehindert wurde, an die Unglücksstelle zu treten.
Nachbarn und Suchmannschaften von Feuerwehrmännern, Steinbrucharbeitern und THW-Leuten arbeiteten sich den ganzen Tag durch die Trümmer. Anfangs noch ganz vorsichtig mit der Schaufel oder mit der bloßen Hand, im Glauben, die 52-jährige Frau retten zu können. Später mit dem Bagger und der langsam schwindenden Hoffnung, sie noch lebend zu bergen. Am späten Abend dann die Gewissheit: Agnes Fuchs war tot. " Ich habe meine Mutter dann nicht mehr gesehen", sagt Inge Hawighorst bitter, Nachbarn und Familienangehörigen hatten ihr den Anblick nicht zumuten wollen.
Nach dem Unglück zog sie mit ihrem Mann Theo für einige Tage ins Ledigenheim am Fürstenauer Weg, in dem sonst Steinbrucharbeiter wohnten. Dann bot die Piesberger Steinindustrie dem Paar eine Werkswohnung an.
Über die Entschädigung wurde noch lange gestritten. Inge Hawighorst erinnert sich, dass die Werksleitung den Dammbruch als Naturkatastrophe deklarieren wollte, um den Schadensersatz zu begrenzen, " auf dreiunddreißig- eindrittel Prozent".
Die Opfer des Dammbruchs schlossen sich zusammen und trafen sich regelmäßig in der Gaststätte Urlage am Fürstenauer Weg. Theo, der Mann von Inge Hawighorst, war immer dabei. Nach einer dieser Zusammenkünfte im Mai 1958, die Männer waren auf dem Weg nach Hause, raste ein britischer Militär-Lkw in die Fußgängergruppe. Der 27-jährige Theo Hörnschemeyer starb noch an der Unfallstelle. Ein schwerer Schock für die junge Frau, die ein Kind von ihm erwartete. Und nun war sie auf einmal Witwe. Im Januar 1959 brachte sie ihre Tochter Martina zur Welt. " Alle bekamen Besuch von ihren Männern", sagt Inge Hawighorst, " ich nicht."
Auch danach hat sie Schicksalsschläge und schwere Strapazen auf sich nehmen müssen. Die Tochter lebensgefährlich an Lungentuberkulose erkrankt, das Haus mit Müh und Not wieder aufgebaut. Aber das Leben ging weiter. Sie heiratete noch einmal, bekam vier weitere Kinder und hat inzwischen acht Enkel.
Das Unglück vor 50 Jahren bekommt Inge Hawighorst nicht aus ihrem Kopf. Sie weiß genau, es hätte auch sie und die anderen Hausbewohner getroffen, wenn sie nicht gerade in der Kirche gewesen wären. Immer muss sie daran denken, dass es Alarmzeichen gab. Selbst im trockenen Sommer war Wasser durch den Damm gesickert und in den Straßengraben gelaufen. Ihre Mutter hatte das verdächtig gefunden, aber nichts gesagt. Und mit dem Leben dafür bezahlt.

Bilduntertitel
Das Fotoalbum ist Inge Hawighorst aus der Zeit vor der Katastrophe geblieben. Das obere Bild zeigt das Haus vor der Zerstörung, das untere sie mit ihrem damaligen Mann Theo. Fotos: Gert Westdörp

Mehrere Tausend Kubikmeter Schlamm ergossen sich am 20. Oktober 1957 auf die neue Siedlung in Pye. Die Häuser waren gerade erst fertig geworden oder noch im Rohbau. Fotos: Archiv

Ungute Ahnungen: Agnes Fuchs starb unter den Trümmern ihres Hauses. Sie überlebte, weil sie in der Kirche war

Als in Pye der Damm brach: Der 20. Oktober 1957 wurde für Inge Hawighorst zum Schicksalstag
Autor:
Rainer Lahmann-Lammert


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