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NUSO-Archiv - Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
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Erscheinungsdatum:
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Inhalt:
Überschrift:
Von Zufällen, die über Leben und Tod entscheiden
 
Die Stadt sucht Zeitzeugen
Zwischenüberschrift:
Der Tod im Bunker am Brunnenweg
 
Bombenangriff auf Osnabrück am 13.5.1944 - Über 200 Menschen starben - Zeitzeugen erinnern sich
Artikel:
Kleinbild
 
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Originaltext:
Bombenangriff auf Osnabrück am 13. Mai 1944 - Über 200 Mensch starben Zeitzeugen erinnern sich

Von Zufällen, die über Leben und Tod entscheiden

Von Michael Schwager

" Bolzplatz gesperrt", war die Überschrift einer Pressemitteilung der Stadt im Januar. Auf der Spielfläche an der Carl-Legien-Straße hatten sich plötzlich Löcher im Erdboden aufgetan. Eine alltägliche Meldung - Routine. Aber die Geschichte der merkwürdigen Löcher im Bolzplatz, die bei näherer Betrachtung zum Vorschein kam, ist nicht alltäglich.

Sie handelt von Zufällen, die über Leben und Tod entschieden, von schlimmen Erinnerungen, die man nie mehr los wird. Es ist die Geschichte des Bombenangriffs vom 13. Mai 1944 auf Osnabrück, eines Bombenangriffs, bei dem 241 Menschen ihr Leben verloren, so viele wie bei keinem anderen Luftangriff auf die Stadt.

Über 100 Männer, Frauen und Kinder starben allein in einem so genannten Laufgraben am Brunnenweg, der heute die Löcher im Bolzplatz sind die Reste dieses schwach befestigten Bunkers.

Willi Wendte erinnert sich bei einem Ortstermin auf dem gesperrten Bolzplatz: " Ich war Schüler und als Luftschutzmelder in Schinkel eingesetzt." Jugendliche wie er hatten den Auftrag, nach dem Ende eines Angriffs auszuschwärmen und der Polizei über die Lage zu berichten. Wo waren Häuser getroffen worden, wo wurden Hilfskräfte benötigt? Willi Wendte kam auch zum Bunker am Brunnenweg: " Dort sah ich in den Trümmern einen Kinderschuh liegen. Mit Socke. Die Socke war rot." Erst bei näherem Hinsehen erkannte Wendte, dass es sich um einen abgetrennten Kinderfuß handelte - das Bild hat er bis heute nicht vergessen.

Der 13. Mai 1944 war ein Samstag, ein klarer Frühlingstag. Die Luftschutzleitung vermerkte in ihrem Bericht Nordwind und 18 Grad Celsius. Um 12.39 Uhr wurden mehrere Flugzeuge bei Rotterdam gemeldet. Wenig später, 12.45 Uhr wurde in Osnabrück Fliegeralarm ausgelöst. Weitere Flieger-Meldungen aus Holland und von Helgoland kamen hinzu. Immer noch war aber das Ziel der US-Bomber völlig offen. Vielleicht würde Osnabrück nur überflogen, war die tödliche Last der Flugzeuge für andere Städte vorgesehen. Die Menschen, die sich damals in der Nähe des Laufgrabens am Brunnenweg aufhielten, gingen nach über 30 Angriffen auf ihre Stadt und ungezählten Fliegeralarmen beinahe gelassen und routiniert mit der Situation um. Sie standen vor den Bunkereingängen und beobachteten, was sich am Himmel über ihnen zusammenbraute.

290 Häuser wurden total zerstört

Um 14.09 Uhr kam dann die Meldung, dass die Spitze des Bomberverbandes bei Bünde in Richtung Osnabrück eingeschwenkt war. Und um 14.13 Uhr schlugen die ersten Bomben im Stadtgebiet ein. Um 14.35 Uhr war alles vorbei. 20 Luftminen, 1 200 Sprengbomben und 2 500 Flüssigkeitsbrandbomben waren auf Fabriken und Wohnhäuser der östlichen Stadtteile niedergeregnet. 290 Häuser waren total zerstört, 195 Häuser schwer beschädigt. Über 3 000 weitere Gebäude waren mehr oder weniger in Mitleidenschaft gezogen worden.

Eine knappe halbe Stunde vorher, also erst als die ersten Detonationen zu hören waren, ging das Gedränge am Laufgraben Brunnenweg los. Herbert Beßmann, damals Lehrling bei Klöckner, gehörte zu denen, die noch draußen in die Luft geschaut hatten, während seine Eltern schon in den verwinkelten Schutzraum gegangen waren. Von dort hatten sie ihn gerufen und aufgefordert, endlich in Deckung zu gehen. Aber jetzt knubbelten sich die Menschen vor dem Eingang zu dem Teil des Bunkers, in dem seine Eltern saßen. Beßmann entschied sich deshalb für den Eingang zum benachbarten Teil des Laufgrabens - das rettete ihm das Leben. Der Teil, in dem seine Eltern untergekrochen waren, stürzte durch einen Bombentreffer ein. Die meisten Insassen wurden durch herabstürzende Trümmer erschlagen. Beßmanns Onkel, Soldat und Fronturlauber, hatte die Leichen gesehen und seinem Neffen davon abgeraten, noch einmal zu den Särgen seiner Eltern zu gehen. Beßmann blieben die inzwischen vergilbten Sterbeurkunden seiner Mutter Anna-Luise und seines Vaters Heinrich Josef, in denen das Wort " verstorben" gestrichen und ersetzt wurde: " durch Feindeinwirkung gefallen."

Günther Kötter, damals sieben Jahre alt, verlor im Brunnenweg-Bunker seinen Vater. Er erinnert sich noch an die aufwendige Trauerzeremonie. Die Nazi-Führung in Osnabrück wollte damit Trauer und Hass der Opfer in Widerstandswillen verwandeln. Adolf Hitler war der Überzeugung: " Je weniger die Bevölkerung zu verlieren hat, um so fanatischer kämpft sie. Jetzt begreift auch der Dümmste, dass ein Haus nie wieder aufgebaut wird, wenn wir nicht siegen." In den Osnabrücker " Neuen Volksblättern" wurde am 19. Mai 1944 eine ganzseitige Todesanzeige mit den Namen aller Opfer des " anglo-amerikanischen Terrorangriffs" gebracht. Jeder Name ein Zeuge für Deutschlands Schicksalskampf und Deutschlands Endsieg", schrieb der Berichterstatter in den Neuen Volksblättern über die Trauerfeier am Heger Friedhof, bei der die Toten in mit Hakenkreuzfahnen bedeckten Särgen in Reih und Glied aufgebahrt waren.

" Ich war damals voller Hass auf die Amis", erinnert sich der 76-jährige Herbert Beßmann heute. Wenig später wurde er Soldat, saß in einem Panzer: " Wenn ich einen von denen gekriegt hätte, ich glaube, ich hätte draufgehalten. Heute sage ich mir, alles Quatsch, die haben auch nur Befehle ausgeführt, die sich andere ausgedacht hatten, aber damals..."

EINE LUFTAUFNAHME Osnabrück nach dem Bombenangriff vom 13. Mai 1944. Der leichte Bunker am Brunnenweg (Pfeil) erhielt einen Volltreffer. Über 100 Männer, Frauen und Kinder starben durch herabstürzende Trümmer.

Die Stadt sucht Zeitzeugen

Die Spuren des Bombenkrieges in Osnabrück sind nicht nur im Stadtbild zu erkennen. In den vergangenen Jahren wurden die Einwohner immer wieder durch die aufwendige Beseitigung von Bomben-Blindgängem an die Zeit des Zweiten Weltkriegs erinnert. Das Problem der Blindgänger: Je länger sie im Erdreich liegen, um so unberechenbarer werden sie. Deshalb wollen die Kampfmittelräumer so viele Blindgänger wie möglich finden. Dabei können Zeitzeugen helfen. Außerdem können die Menschen, die dabei waren, als die Bomben fielen, ihre Erinnerungen zu Protokoll geben. Ansprechpartner bei der Stadt Osnabrück (Tel. 323-0) sind unter anderem Klaus Fienig, Norbert Lauxtermann oder Harmut Damerow (Tel. 323-24 38).

AUFRÄUMARBEFTEN nach einem Bombetreffer am Petersburger Wall. Oft kam jede Hilfe zu spät.

Foto: Karl Brüggemann

DIE GROSSE TRAUERFEIER am Heger Friedhof wurde von der Parteiführung in Osnabrück nach allen Regeln der Politpropaganda inszeniert, um Trauer der Hinterbliebenen in Kampfmoral zu verwandeln. Foto: Karl Brüggemann

ORTSTERMIN AM BOLZPLATZ (von links: Klaus Fiening, Herbert Beßmann, Günther Kötter, Norbert Lauxtermann, Eva und Willi Wendte). Die Gespräche mit den Bombenräumem wecken bei den Zeitzeugen schlimme Erinnerungen. Foto: Klaus Lindemann

EIN TRÜMMERFELD fanden die Helfer am Brunnenweg vor. Unter den schweren Betonplatten und Mauerfragmenten fanden die meisten der über 100 Verschütteten den Tod. Foto: Karl Brüggemann
Autor:
Michael Schwager


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