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NUSO-Archiv - Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
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Vor 100 Jahren waren die Geschäfte am "goldenen Sonntag" geöffnet
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Dezember 1902: Die Rechtschreibreform machte aus "Westphalen" Westfalen
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Vor 100 Jahren waren die Geschäfte am " goldenen Sonntag" geöffnet

Dezember 1902: Die Rechtschreibreform machte aus " Westphalen" Westfalen

Von Christiana Keller

" Heute früh lebensgefährliches Glatteis" warnte die Osnabrücker Zeitung schon am 1. Dezember. Dann schneite es mehrere Tage hintereinander, und das war ein Spaß für die Kinder, aber ein Übel für die Geschäftsleute und Schneeschipper. Im Anhang gab es einen historischen Rückblick auf die Wetterverhältnisse, die 100 Jahre zuvor geherrscht hatten: 1802 führte eine frühe und anhaltende Frostperiode u. a. zur Vernichtung der großen französischen Armee, damals dauerte der Frost von Anfang Dezember bis nach Neujahr. Auch vor 100 Jahren war das Steinwerk an der Bierstraße, damals wurde es nach dem Vorderhaus " Bleckriede' sches Steinwerk" genannt, Ziel von Forschern aus dem ganzen Land. Im Dezember untersuchte ein Professor aus Berlin das alte Gemäuer, um das " in der Fachliteratur als Charakteristikum des Osnabrücker Hauses" behandelte Steinhaus kennen zu lernen. Besichtigungen wurden von den Besitzern schon damals gerne und mit Stolz erlaubt, um die Besucher " auf die Eigenthümlichkeiten des Bauwerkes freundlich aufmerksam zu machen."

Wieder entschied der Magistrat die Aufhebung der Sonntagsruhe für die letzten drei Adventssonntage des Jahres 1902. So durften die Läden bis 19 Uhr am Abend öffnen, und wer erst um 11 Uhr morgens die Türe aufschloss, durfte seine Kunden bis 21 Uhr bedienen. Die Öffnungszeiten an Werktagen vor dem Fest endeten erst um 22 Uhr.

Welche Belastungen mit einer solchen obrigkeitlichen Entscheidung verbunden waren, geht aus einigen kurzen Meldungen im Dezember hervor. Darin wurden die " verehrten Leser und besonders die Leserinnen" gebeten, ihre Einkäufe für das Fest nicht erst in den späten Abendstunden und den letzten Tage zu erledigen, denn die " Angestellten der meisten Ladengeschäfte, die sich in den letzten 14 Tagen vor dem Fest bis in die tiefen Abendstunden plagen müssen", seien überarbeitet und für sie sei nach dieser " unvermeidlichen geistigen und körperlichen Anstrengung Weihnachten nur bedingungsweise das schönste Fest des Jahres". " Man gehe also und sehe, was geboten wird und decke seinen Bedarf bei Zeiten."

Und doch: trotz aller Appelle wälzte sich am " goldenen Sonntag", dem vierten Advent, ein nicht enden wollender Strom von Passanten durch die Innenstadt. Vor allem das ländliche Umland nutzte den Tag für Weihnachtseinkäufe bis spät in den Abend.

Die bewährten und unerlässlichen Suppenküchen wurden in der dritten Dezemberwoche eingerichtet, in der Großen Gildewart für die Altstadt und im Gasthaus Meyer an der Johannismauer für die Neustadt. Auf dem Weg vom Bahnhof zum Hauptpostamt schlug Mitte Dezember ein Postwagen wegen starker Glätte um. Der Postillon konnte noch abspringen, der im Wagen sitzende Schaffner brach sich ein Bein, aber die Pferde blieben unverletzt.

Mit großformatigen Anzeigen boten die Osnabrücker Geschäfte ihre z. T. stark herabgesetzten Waren in der Zeitung an. Besonders Stoffgeschäfte, Möbel und Fertigwaren wetteiferten in jeder Ausgabe. Mit der Überschrift " Weihnachtgeschenke für die Dienstboten" warb die Stoffhandlung Dehne & Sopp und bot Schürzen, Corsetts, Taschentücher, Hemden, Hosen, Nachtjacken und Stoffreste für Waschkleider an, " nützliche und praktische Geschenke in Einem".

In der Stadt boten die Geschäfte in ihren großen Schaufenstern auf, was immer in die Fenster hineinpasste, an Ideen fehlte es nicht. Problematisch war das Auftauen der Fenster, damit die verehrte Kundschaft auch etwas zu sehen bekam. In Mode waren Reihen kleiner Gasflämmchen entlang der Scheiben, die sich zwar als praktisch, aber als ebenso brandgefährlich erwiesen, denn oft wurde die Ware beschädigt und drohte in Flammen aufzugehen. Das Ende dieser Modeerscheinung wurde durch die Brandversicherungen gesetzt, die ihre Schadenszahlungen bei dieser Art von Schaufenster-Abtaupraxis verweigerten.

Nachdem kurz vor Weihnachten Tauwetter einsetzte, waren erneut Hammerschläge und Arbeitsgeräusche aus der Marienkirche zu vernehmen. Man arbeitete mit Hochdruck an den Priechen und auch das Gestühl war fast fertig gestellt. Noch vor dem Fest rechnete der Kirchenvorstand mit dem Einsetzen der Fenster.

Eine Arbeit, die sehr schnell vonstatten gehen sollte, da die kleinen Scheiben bereits in der Fabrik zu großen, transportierfähigen Flächen zusammenstellt worden waren. Die Renovierung konnte bald wieder ohne den Einfluss von Witterung und Frost fortschreiten, denn zu Ostern wollte man St. Marien feierlich einweihen.

1 366 Mark " Opfergeld" verteilte die Heger Laischaft in diesem Jahr an ihre Mitglieder. Nicht aus Grundstücksverkäufen stammte das Geld, sondern aus Überschüssen des Laischaftsholzes.

Eine modernisierte Rechtschreibung brachte das neue Jahr 1903: Nun sollte es keine deutschen Worte mit ph und t h mehr geben, weder Fluth noch Muth, nicht Thier, Heirath, Adolph oder Westphalen. Auch hieß es künftig Hilfe statt Hülfe.

Das herrliche Wetter blieb Weihnachten aus: starker Sturm störte den Feiertagsfrieden. Bei dem Regen blieben die Leute zu Hause, nur zum Kirchgang wagten sie sich aus den vier Wänden.

IMMER BEREIT, " auf die Eigentümlichkeiten des Bauwerkes freundlich aufmerksam zu machen": Das Steinwerk Bierstraße 7, in dem heute die Städtische Denkmalpflege ihren Sitz hat.
Autor:
Christiana Keller


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