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NUSO-Archiv - Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
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aus Zeitung:
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Überschrift:
Wer gibt den Straßen eigentlich die Namen?
Zwischenüberschrift:
Im Osnabrücker Stadtplan stehen 1426 Straßenname, und fast jedem lässt sich eine Geschichte erzählen
Artikel:
Kleinbild
Originaltext:
Von Rainer Lahmann-Lammert

Sechs Wörter, fünf Bindestriche, 33 Anschläge: Den Anwohnern der Hedwig-Ostman-von-der-Leye-Straße wird einiges abverlangt, wenn sie Formulare ausfüllen müssen. Ganz unbemerkt ist der Neubausiedlung oberhalb der Fachhochschule in Haste der längste Straßenname der Stadt in den Schoß gefallen. Nebenan in Evershurg geraten die Anwohner der Pastor-Goudefroy-Straße ins Stottern, wenn sie nach ihrer Adresse gefragt werden. " Ich würde Pastor Gaudefreu sagen", rät Gert Heit vom Fachdienst Geodaten. Es ist Aufgabe der Stadt, Straßen einen Namen zu gehen. Und es ist Aufgabe von Gerd Heit, sich darüber den Kopf zu zerbrechen. Manchmal nimmt der Kulturausschuss seine Vorschläge an, manchmal auch nicht.

1 426 Straßen und Plätze listet der aktuelle Stadtplan von Osnabrück auf. Schon im Mittelalter haben sich die ersten Bezeichnungen durchgesetzt, zum Beispiel Große Straße und Markt. Als der Generalfeldmarschall Dodo von Knyphausen 1633 für die Schweden ein Straßenverzeichnis anfertigte, gab es bereits die " Lohestraß" (Lohstraße), die " Lütke gilfert" (Kleine Gildewart) und " Auffm Klingelberg" (Klingensberg), die " Bierstraß" und den " Claußort" (Nikolaiort).

Nicht immer lässt sich zweifelsfrei zurückverfolgen, was sich unsere Vorfahren bei dieser oder jener Straßenbenennung gedacht haben. Das fällt dann unter die Tradition, undl die ist geschützt, sogar mit juristischem Segen. Als das Verwaltungsgericht Mannheim 1981 über die Klage eines Bürgers zu befinden hatte, wurde das Selbstverständlichste der Welt endlich einmal zu Papier gebracht: Zweck der Benennung ist es in erster Linie, im Verkehr der Bürger untereinander und zwischen Bürgern und Behörden das Auffinden von Wohngebäuden, Betrieben, öffentlichen Einrichtungen und Amtsgebäuden zu ermöglichen bzw. zu erleichtern." Zugleich stellten die Richter ein für allemal fest, dass " auch die Pflege örtlicher Traditionen und die Ehrung verdienter Bürger legitime Zwecke der Straßenbenennung sein" können. Für Gerd Heit vom Fachdienst Geodaten (früher sprach man vom Vermessungsamt) gibt es noch weit mehr Kriterien zu berücksichtigen. Flurbezeichnungen oder regionale Bezüge haben ; einen hohen Stellenwert, lokale Größen natürlich auch. Doch so verdienstvoll potenzielle Namenspatrone sein mögen - sie müssen schon ein paar Jahre unter der Erde sein, . damit sich nicht gleich die erste Betroffenheitswelle auf einem neuen Straßenschild austobt. Wichtig ist zugleich, dass ihre Namen leicht merkbar, unterscheidbar und nicht zu lang sind.

Vorschläge kann jeder Bürger und jede Bürgerin einreichen, allerdings sind es meist die Parteien, gelegentlich auch die Bürgervereine, die einen der ihren unsterblich machen wollen. Und fast immer sind es Männer, die nach ihrem Ableben als straßentauglich erachtet werden. Unter den 1 426 Einträgen finden

Nur auf 34 Schildern sind Frauen

sich 402 Herren der Schöpfung, nur 34 Mal ist das zarte Geschlecht vertreten.

Mehr Frauen in den öffentlichen Raum! In seiner grenzenlosen Weitsicht sind dem Kulturausschuss gerade mal zwölf weibliche Namen eingefallen, die jetzt nach und nach auf Schilder gedruckt werden können. Die Schriftstellerin Marieluise Fleißer, deren Bücher von den Nazis verbrannt wurden, steht ganz oben auf der Liste. Straßenwürdig sind laut Beschluss auch die Lyrikerin Nelly Sachs, die schwedische Königin Christina und die Stadthistorikerin Ilsetraut Lindemann (sie verfasste für unsere Zeltung u.a. die Kleine Osnabrücker Straßenkunde", sic!).

Den Stempel " erledigt" kann Straßenkundler Heit auf die Akte " Sophie Charlotte" setzen. Der in Iburg geborenen Frau vom Preußenkönig Friedrich I. wird die späte Ehre zuteil, einer Sackgasse in bester Wohnlage majestätischen Glanz zu spenden. Beinahe hätte die Straße oberhalb der Caprivilkaserne den Namen " Auf dem Westerberg" bekommen. Ein geografischer Bezug, der vor allem auf dem Immobillenmarkt besondere Zugkraft versprochen hatte.

Warum also Sophie Charlotte? Weil sie die Wissenschaft und die Kunst gefördert hat", lächelt Gerd Heit mit Blick auf die Fachhochschule. Und weil ihr der preußische General Caprivi in der nach ihm benannten Kaserne dann buchstäblich zu Füßen liege.

Wenn es um Frauenförderung geht, nimmt die Stadt selbst eine Schilderlange von 100 Zentimetern billigend in Kauf, obwohl ein Vermerk des Tiefbauamts vom 7. Juni 1988 hier das Ende der Fahnenstange erreicht sieht. Aus statischen Gründen übrigens. Der Malerin Hedwig Ostman von der Leye wurden deshalb vier Buchstaben aus Ihrem Namensanhängsel ambulant entfernt. Hatte es " Ostman-von-der-Leye-Straße" nicht auch getan? Wohl kaum, denn dann könnte sich Baron Clemens Ostman von der Leye gebauchpinselt fühlen, und das ist sicherlich nicht gewollt.

War es gewollt, dass Osnabrücks größter Schriftsteller Federn lassen musste? Als Erich Maria Remarque vor Jahrzehnten ein Teil des Rings gewidmet wurde, hinterließ der damals grassierende Abkürrungsfimmel von seinem Vornamen nur ein kümmerliches " E.M.". Jetzt soll ein Zusatzschild darüber aufklären, wer " Erich Maria R." war. Das ist kein Witz, weitere Buchstaben passten nicht auf die Tafel. Warum wird der E.-M.-R.-Ring nicht gleich umbenannt in Erich-Maria-Remarque-Ring?

Straßenumbenennungen sind selten, weil sich die Anwohner fast regelmäßig mit Händen und Füßen dagegen sperren. Nach dem Krieg war es zwar unumgänglich, mit der Entnazifizierung auch Bezeichnungen wie Adolf-Hitler-Platz (Neumarkt), Braunauer Wall (Heger-Tor-Wall) oder Litzmannstraße (Schoeller-Straße; aus dem Stadtplan zu tilgen. Doch auf den Sportfunktionär Carl Diem, der im März 1945 unbedarfte Jugendliche zum finalen Opfergang für den Führer und das Vaterland" in den Tod schickte, wurde erst in unseren Tagen mit dem Finger gezeigt. Nach dem Willen des Rates soll er nicht länger Namenspatron sein. Vielleicht reißt er ja Turnvater Jahn gleich mit in den Strudel. Ihm könnte antisemitische und patriotisch verblendete Hetze zum Verhängnis werden.

Dann müssten eigentlich auch die Namen von Feldherren wie Noltke, Roon und Caprivi auf den Prüfstand. Gestern noch auf stolzen Rossen, heute durch die Brust geschossen? Entscheidungen, die seit 100 Jahren Bestand haben, gelten als historisch und damit als unantastbar. Doch die Frage nach der Halbwertzeit

" Am Lustgarten" - klingt das anstößig?

einer untadeligen Biografie stellt sich damit immer wieder aufs Neue.

Unzeitgemäß erscheinen aber nicht nur große Männer. Ende des 19. Jahrhunderts wollten Osnabrücks Stadtväter endgültig das Ackerbürgerimage abstreifen und machten aus der Schweinestraße die Marienstraße. Als anstößig wurde vor einigen Jahren der Vorschlag der Stadt empfunden, eine Straße nach dem früheren Ausflugslokal " Lust garten" zu benennen. Anwohner setzten durch, dass das Baugebiet der guten alten Gutenbergstraße zugeschlagen wurde.

Höhere Wellen schlug kürzlich ein Namensstreit in Sutthausen. Gerd Heit hätte in der neuen Siedlung unterhalb der Talstraße gern einige Schriftstellerinnen untergebracht, doch aus dem Ortsrat kam ein knallhartes " Njet. Um ein Haar wäre die Talstraße ebenso verlängert worden wie seinerzeit die Gutenbergstraße. Wie einfallslos, dachte Heit und ließ Blumen sprechen: Fuchsienweg, Ritterspornweg, Lilienweg, Akeleiweg. In der Nähe der Siedlung befindet sich eine Gärtnerei, das überzeugte.

Der Geodatenspezialist hat Ehrgeiz. Er will weitere Namen von seiner Liste abarbeiten. Zu seinen ewigen Favoriten gehört Varus, der Verlierer von Kalkriese. Wie gern hätte Heit ihm die neue Stichstraße gewidmet, genau gegenüber vom Cheruskerweg. Doch die Sozis, die damals noch am Ruder waren, drückten einen sozialdemokratischen Lokomotivführer durch. Heit gibt nicht auf. Spätestens 2009, meint er ist Varus an der Reihe. 2000 Jahre nach seiner Niederlage.

Die Schilder verwechselt?

Till, immer auf der Suche nach Osnabrück-spezifischen Besonderheiten, hat sich schon immer gefragt, warum die Atterstraße Atterstraße und die Wersener Straße Wersener Straße heißt. Eigentlich, das sagt doch der gesunde Menschenverstand, müssten ihre Namen vertauscht werden, denn die Atterstraße führt nach Wersen und die Wersener Straße nach Atter. Wahrscheinlich sind die Namen tatsächlich irgendwann einmal verwechselt worden. Vielleicht auch nur die Schilder. Das glaubt auch Gerd Heit vom Fachdienst Geodaten im Dominikanerkloster der Stadt am Rißmüllerplatz. Heit kann zu fast jeder Straße eine Erklärung abgeben. Wer zum Beispiel etwas über die Herkunft seines Straßennamens erfahren möchte, bekommt im Fachdienst Geodaten eine Antwort. Hier ist die Telefonnummer: 323-2585.

Bismontag.

WENN' S DRAUF ANKOMMT, lässt er Blumen sprechen: Bei Gerd Heit bleibt nichts dem Zufall überlassen. Jede Straßenbenennung läuft bei ihm von Amts wegen über den Tisch. Fotos: Jörn Martens

VERSTÜMMELT: Hätte Erich Maria Remarque nicht die vollständige Schreibweise seines Vornamens erdient?

ACKERBÜRGER-IMAGE abgestreift: Vor über 100 Jahren wurde die Schweinestraße in Marienstraße umbenannt - eine Fotomontage.

REKORDVERDÄCHTIG: Hedwig Ostman von der Leye ist das längste Straßenschild gewidmet.

KÖNIGLICHEN GLANZ wird Sopie-Carlotte demnächst auf dem Westerberg spenden.
Autor:
Rainer Lahmann-Lammert
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