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NUSO-Archiv - Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
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Chemieunfall: Flammen über dem Güterbahnhof
 
Beunruhigend
 
Acrylnitrin
Zwischenüberschrift:
Explosive Mischung: Propangas und Acrylnitrit - nur um Haar konnte die Katastrophe vermieden werden
Artikel:
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Originaltext:
Chemieunfall: Flammen über dem Güterbahnhof

Explosive Mischung: Propangas und Acrylnitril - Nur um ein Haar konnte die Katastrophe vermieden werden

Von Frank Henrichvark (Text) und Klaus Lindemann (Fotos)

Feuerwehrleute wirft so schnell nichts um, aber auch am Tag danach war dem Einsatzleiter Heiko Schnitker von der Osnabrücker Berufsfeuerwehr die Anspannung noch am Gesicht abzulesen: Um ein Haar sind der Zugführer und seine Leute bei dem Brand eines Kesselwagens in der Nacht zu Sonnabend auf dem Güterbahnhofs Gelände wohl an einer Katastrophe vorbeigeschlittert.

Gegen 1.30 Uhr am Sonnabendmorgen ist auf dem Güterbahnhof hinter der Schellenbergbrücke ein Zug mit insgesamt 26 Waggons vermutlich in einer Weiche entgleist. Die Lok und acht Waggons sprangen aus den Schienen, einige Wagen stürzten um. Zwei Waggons wurden beschädigt und fingen Feuer: Ein mit 60 Tonnen der hochgiftigen und brennbaren Chemikalie Acrylnitril beladener Tankwagen sowie ein nahezu leerer Propangas-Tanker, in dem sich noch Restmengen befanden. Beide Waggons brannten aus: Bis gegen 7.40 Uhr stand ein riesiger Feuerball über der Brandstelle.

" Acrylnitril brennt wie Superbenzin, es ist nur noch giftiger", sagte Jürgen Knabenschuh, der Chef der Osnabrücker Berufsfeuerwehr. Neben der Explosionsgefahr herrschte denn auch Giftgasalarm: Acrylnitril gilt als krebserregend, bei seiner Verbrennung kann zudem Blausäuregas entstehen.

Die ganze Nacht wurde an der Brandstelle hektisch gearbeitet: Neben der Osnabrücker Berufsfeuerwehr und sämtlichen freiwilligen Löschzügen waren auch die Berufsfeuerwehr Münster, die Flughafenfeuerwehr aus Greven sowie Wehren aus dem Landkreis Osnabrück und Lingen im Einsatz. Später wurden die Werksfeuerwehren der BASF aus Düssseldorf, der Faserwerke Lingen - für die das Acrylnitril bestimmt war - sowie des Chemieherstellers DMS aus den Niederlanden hinzugezogen. Auch das Technische Hilfswerk war im Einsatz: Insgesamt über 200 Mann. Drei Polizisten erlitten Atemwegsreizungen, ein Beamter wurde deshalb zur Beobachtung ins Krankenhaus gebracht.

Die Feuerwehr beschränkte sich zunächst darauf, die brennenden Wagons zu kühlen, um die Explosionsgefahr zu bannen. " Acrylnitril lässt sich mit Wasser nicht löschen", berichtete Heiko Schnitker, " erst gegen Morgen konnten wir mit den großen Schaumkanonen den Brand ersticken." Immer wieder hatte der Brand aus dem leckgeschlagenen Propangastank neue Nahrung erhalten: Dieser Waggon wirkte wie ein riesiges Einweg-Feuerzeug, weil die darin enthaltene Restmenge verdampfte und abfackelte.

Am Sonnabend und Sonntag liefen dann die Sicherungs- und Aufräumungsarbeiten auf dem Gelände im Fledder an. Zunächst mussten die umgestürzten Waggons gesichert werden: Neben drei Autotransportern die vier Tankwagen, beladen mit jeweils 60 Tonnen Acrylnltril, sowie die beiden Propangastanker. Anschließend konnte die giftige Chemikalie umgepumpt werden: " Die beiden Werksfeuerwehren aus Düsseldorf und den Niederlanden haben dabei sehr professionell und wirkungsvoll gearbeitet", sagte Löschzugführer Ernst Rüdiger von der Osnabrücker Berufsfeuerwehr, der gestern vor Ort war: " Aber noch sind die Waggons ineinander verkeilt", so berichtete er, " die herangeführten Autokräne werden erst dann mit ihrer Arbeit beginnen können, wenn die akute Gefahr behoben ist." Nach seinen Angaben werden die Aufräumungsarbeiten mindestens bis heute andauern. Der Güterbahnhof Osnabrück bleibt so lange gesperrt. Der Personenverkehr im Osnabrücker Hauptbahnhof konnte allerdings am Sonnabend wieder ungehindert laufen, nachdem es in den ersten Stunden noch zu Behinderungen im Zugverkehr gekommen war.

Während des Großbrandes waren die Anwohner in Schinkel und Fledder aufgefordert worden, Fenster und Türen zu schließen. " Schadstoffe in der Luft haben unsere Messtrupps jedoch nicht gefunden", sagte Ernst Rüdiger gestern, " im Wesentlichen brannte wohl nur das Propangas." Wie viel der giftigen Chemikalie Acrylnitril tatsächlich ausgelaufen und verbrannt ist, konnte der Löschzugführer gestern nicht sagen, dazu müsse zunächst die abgepumpte Menge aus dem ausgebrannten Waggon gernessen und auf ihren Wasseranteil untersucht werden.

Die Schadenshöhe stand auch gestern noch nicht fest, dürfte aber in die Millionenhöhe gehen. Feuerwehr-Chef Jürgen Knabenschuh sprach von " Glück im Unglück", weil einerseits die beiden Propangastankwagen leer fuhren und nicht explodierten. Andererseits habe die Feuerwehr auf dem direkt benachbarten Gelände des Autoherstellers Karmann nahezu ideale Arbeitsbedingungen gehabt: " Noch vor zwei Wochen haben wir mit den Verantwortlichen bei der Bahn AG über die Löschwasserversorgung bei einem solchen Szenario gesprochen", sagte Knabenschuh.

Beunruhigend

Till brauchte lange, um die ganze Dimension dessen zu begreifen, was in der Nacht zum Samstag auf dem Güterbahnhof geschehen war. Ganz offensichtlich ist die Stadt haarscharf an einer echten Katastrophe vorbeigeschrammt. Das spektakuläre Unglück macht erschreckend deutlich, wie unterschiedlich die Sicherheitsmaßnahmen offenkundig sind. Die vielzitierten Atomtransporte werden unter strengsten Auflagen durch die Republik bewegt und zudem in Behältern, die für hohe Beanspruchungen ausgelegt sind. Chemlkalien hingegen rollen in vergleichsweise dünnwandigen und entsprechend empfindlicheren Waggons durch die Gegend - mit möglicherweise schlimmen Folgen, wie der noch einigermaßen glimpflich abgelaufene Unfall auf dem Güterbahnhof ahnen lässt. Dass diesmal Feuerwehren und Helfer sogar von weit her schnell am Ort des Geschehens waren und dazu beitrugen. Schlimmeres zu verhindern, ist zwar sehr erfreulich, wirkt aber nur begrenzt beruhigend.

Bismorgen

Zur Sache

Acrylnitril

Acrylnltril hat die chemische Formel C³H³N. Es ist eine farblose, schwach stechend nach Senföl riechende Flüssigkeit, die sich mit Wasser nur schwer mischt, aber leicht entzündlich ist.

Die Chemikalie wird als Grundstoff für viele Produkte in der Kunststoffindustrie verwendet. Pro Jahr werden in Deutschland etwa 360 000 Tonnen produziert, unter anderem als Monomere und Mischpolymere wie zum Beispiel Kautschuk, dazu als Lackrohstoff, Textilhilfsmittel und für Kleber und Dispersionen.

Unter Lichteinfluss oder mit anderen Stoffen kann Acrylnitril explosionsartig reagieren. Gemische mit Luft sind zudem zündfähig. Bei der Verbrennung kann Blausäure entstehen. Der Stoff reizt die Augen und die Haut, er soll deshalb auch nicht eingeatmet werden. Bei höheren Konzentrationen gilt er als krebserregend.

EIN RIESIGER FEUERBALL stand über den brennenden Waggons auf dem Güterbahnhof im Fledder. Bis gegen Morgen versuchte die Feuerwehr vom benachbarten Karmann-Gelände aus, die Flammen einzudämmen. Dieses Bild enstand gegen 3 Uhr von der Schellenbergbrücke aus.

SPEZIALISTEN DER BASF-WERKSFEUERWEHR aus Düsseldorf untersuchten die unbeschädigten Waggons und überwachten das Abpumpen der Chemikalie.

GESPANNTES WARTEN prägte das Bild am Sonnabend: Unter Atemschutzmasken und in Bergen von Löschschaum hielten die Feuerwehrmänner die Brandwache, um ein Wiederaufflackern der Flammen zu verhindern.

FABRIKNEUE AUTOS AUF DEN SCHIENEN: Neben den Tankwagen hatten sich auch drei Autotransporter ineinander verkeilt und zum Teil die Ladung verloren. Die Aufräumarbeiten werden auch heute noch andauern.
Autor:
Frank Henrichvark, Till


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