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NUSO-Archiv - Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
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Überschrift:
Vom Hammerschlag zum Tastendruck
 
Neue Inhalte, neue Namen
Zwischenüberschrift:
100 Jahre Karmann: Berufsausbildung im Wandel
 
Zur Sache: Ausbildung
Artikel:
Kleinbild
Originaltext:
Vom Hammerschlag zum Tastendruck

100 Jahre Karmann: Berufsausbildung im Wandel

Von Holger Jansing

Lehrjahre sind keine Herrenjahre: Henrich Brockmeyer muss schmunzeln, wenn er diesen Satz hört. Der angehende Technische Zeichner weiß, dass der altkluge Spruch für die heutige Generation der Auszubildenden bei Karmann nicht mehr gilt. Die Facharbeiter und Ingenieure von morgen sollen schon früh Verantwortung im Betrieb übernehmen, eigene Projekte verwirklichen und die Qualität ihres Tuns kontrollieren.

Früher waren selbstständiges Denken und Handeln wahrend der Ausbildung verpönt. " Wir mussten in der Produktion vor allem Hand- und Spanndienste leisten", erinnert sich Hubert Hehmann, der seit 1955 in der Firma beschäftigt ist und inzwischen die Abteilung Projektplanung leitet. Damals herrschten raue Sitten. Lehrlinge mussten die Werkstatt ausfegen und sich um das Frühstück der Gesellen kümmern. Und wer nicht spurte, fing sich auch noch die ein oder andere Ohrteige ein.

100 Jahre Wilhelm Karmann - das bedeutet auch 100 Jahre Berufsausbildung im Wandel. Die Osnabrücker Autoschmiede bildet derzeit junge Leute in 19 Berufen aus. 244 Auszubildende hat das Traditionsunternehmen im Jubiläumsjahr, darunter 77, die erst vor zwei Wochen angefangen sind. Ihnen stehen 14 Ausbilder zur Seite. Insgesamt sind am Standort Osnabrück gut 6200 Mitarbeiter tätig.

1901, als Wilhelm Karmann die Wagenfabrik von Christian Klages übernahm, hatte der Betrieb 15 Beschäftigte. Wie viele Lehrlinge es gab, ist nicht überliefert. Aus einem Zeugnis von 1903 geht aber hervor, dass einer von ihnen Heinrich Nosthoff hieß. Er hatte bei Karmann mit Erfolg eine Lehre zum Sattler absolviert. Stellmacher, Schlosser und Lackierer waren zu Beginn der Firmengeschichte weitere Ausbildungsberufe.

Die vierjährige Lehrzeit war damals hart und anstrengend. Heinrich Nosthoff musste elf Stunden am Tag schuften, abends und am Sonntagvormittag zusätzlich die Schulbank drücken. Im Betrieb durfte er vermutlich nur die groben Arbeiten erledigen. Er musste den Gesellen das Werkzeug anreichen und aus dem Lager neues Material holen. Darüber hinaus wird er sich in ruhigen Stunden schon früh als Sattler versucht haben. Immerhin hat der tüchtige junge Mann die Ausbildung später mit Erfolg bestanden.

Mit dem Aufschwung bei Karmann wuchs auch die Zahl der Lehrlinge. 1938 waren es bereits 23, 1955 hatte das Unternehmen erstmals mehr als 100 Auszubildende, zehn Jahre später sogar 213. Die Firma richtete Lehrwerkstätten ein, um dem Nachwuchs in kompakten Kursen die Grundlagen seines künftigen Berufes vermitteln zu können. Bis zur Erschöpfung mussten die angehenden Werkzeugmacher und Feinblechner dort Eisenquader mit der Feile bearbeiten. Diese Zeit bescherte den Jugendlichen, die meist nicht älter als 14 oder 15 Jahre waren, Schwielen an den Händen. Feilen steht auch heute noch auf dem Lehrplan der Auszubildenden. Allerdings braucht niemand mehr einen Würfel mit einer Kantenlänge von genau zehn Millimetern zu fertigen.

Mit der zunehmenden Automatisierung der Fahrzeugproduktion in den achtziger Jahren kam es auch zu einem tiefgreifenden Wandel in der Lehre. Vom Hammerschlag zum Tastendruck: Die Vermittlung manueller Fertigkeiten trat immer mehr in den Hintergrund. 1987 eröffnete Karmann auf dem ehemaligen Gelände der Spedition Frye das neue Ausbiklungszentrum. " Das war ein großes Ereignis", erinnert sich Alfred Stelner, der seit 1973 im Unternehmen als Gruppenleiter für die gewerblich-technische Ausbildung zuständig ist. In den Räumen standen zu Lehrzwecken unter anderem die modernsten computergesteuerten Fräsmaschinen.

Aber auch der theoretische Ansatz in der Ausbildung hatte sich verändert, es sollte nicht mehr nur darum gehen, unter Anleitung eines Lehrmeisters Kenntnisse und Fertigkeiten zu pauken. Alfred Stelner schaffte die Werksschule ab und beendete damit den Frontalunterricht im Betrieb. Er setzte sich dafür ein, Theorie und Praxis zu verzahnen und motivierte die Auszubildenden zu interaktiver Teamarbeit. In der Lehrwerkstatt produzieren sie nicht mehr für die Abfallkiste, sondern planen und realisieren eigenverantwortlich Projekte. Im vorigen Jahr sorgten in der Fußgängerzone die überdimensional großen Insekten für Aufsehen, die Auszubildende von Karmann gefertigt hatten.

Längst sind die Zeiten vorbei, als Lehrlinge Ärger bekamen, wenn sie Fehler gemacht haben. Heute soll die ganze Gruppe daraus klug werden. Zum Thema " Lernen aus Fehlern in der Ausbildung bei Karmann" hat vor einiger Zeit eine Psychologie-Studentin sogar ihre Diplomarbeit geschrieben.

Wie seine Kollegen genießt es derweil auch Henrich Brockmeyer, schon während der Lehre größtenteils sein eigener Herr zu sein. Eigentlich absolviert der angehende Technische Zeichner keine Ausbildung im klassischen Sinn, sondern ein so genanntes Studium im Praxisverbund. Nach zwei Jahren bei Karmann wird er acht Semester an der Fachhochschule in Hamburg Fahrzeugtechnik mit dem Schwerpunkt Karosseriebau studieren.. Ein dreimonatiges Praktikum in der Karmann-Außenstelle in Detroit hat der 22-Jährige bereits hinter sich. Auch Monate später schwärmt er von den vielen Erfahrungen, die er in den USA gesammelt hat. In der Firma ist er schon jetzt ein gefragter Experte. Für Alfred Steiner ist das Studium im Praxisverbund ein gutes Beispiel dafür, was die betriebliche Ausbildung am Beginn des neuen Jahrhunderts leisten kann.

Zur Sache: Ausbildung

Seit August 1969 ist die zweigleisige Berufsausbildung in Schule und Betrieb gesetzlich geregelt. Vor Inkrafttreten des " Berufsbildungsgesetzes" galten in den einzelnen Wirtschaftszweigen verschiedene Rechtsgrundlagen. Die Diskussion über eine Vereinheitlichung reicht bis ins 19. Jahrhundert zurück. Für angehende Facharbeiter fand in Osnabrück erstmals 1936 eine Prüfung vor der IHK statt. Inzwischen gibt es über 370 anerkannte Ausbildungsberufe. Die Anforderungen werden ständig der technischen Umwicklung angepasst. So entstanden In den vergangenen Jahren zahlreiche neue Berufsbilder. Noch Immer konzentrieren sich 40 bis 50 Prozent der Auszubildenden auf lediglich zehn Berufe.

Neue Inhalte, neue Namen

Till kratzt sich am Kopf. Wo sind sie nur geblieben die Dreher und Schlosser, die Schweißer und Elektriker? Als Folge der technologischen-Revolution in der Industrie sind die alten Berufsbezeichnungen in den vergangenen Jahren auf der Strecke geblieben. Heutzutage bedienen in den Fabrikhallen unter anderem Zerspanungsmechaniker und Energieelektroniker die computergesteuerten Maschinen. Till kennt dieses Phänomen aus der eigenen Branche. Der Schriftsetzer in der Zeitungsproduktion heißt inzwischen Mediengestalter - ein Wort das den Kern der Tätigkeit, wesentlich besser beschreibt. Neue Inhalte, neue Namen. Mit Interesse hat Till vernommen, dass ein Lehrberuf bei Karmann seinen alten Namen behalten hat. Heute wie vor 100 Jahren können sich junge Leute in dem Traditionsunternehmen zum Fahrzeugpolsterer ausbilden lassen.

Bismontag

FINGERSPITZENGEFÜHL: Früher lernten die gewerblichen Auszubildenden wochenlang, das Blech der Karosserie mit dem gummibeschichteten Holzhammer zu bearbeiten. Heute programmiert der angehende Energieelektroniker Jens Berkemeyer (rechts) Roboter für die vollautomatische Produktion. Die Vermittlung manueller Fertigkeiten ist in der Lehrwerkstatt in den Hintergrund getreten.

Fotos: Thomas Osterfeld/ Karmann-Archiv

Feilen, Feilen, Feilen: Die Zeit in der Lehrwerkstatt bescherte den Auszubildenden früher Schwielen an den Händen.

MIT LINEAL UND BLEISTIFT: Nach wie vor lernen die Technischen Zeichner, Skizzen mit der Hand zu fertigen.

DIE " STIFTE" IM KREISE DER GESELLEN: Das Foto von 1908 zeigt die gesamte Belegschaft der Firma Karmann, die damals ihren Sitz am Kamp hatte. In der Mitte vor dem Auto haben sich die Lehrlinge augestellt.
Autor:
Holger Jansing, Till


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